Ellen Ehni

"Wir müssen zuhören. Wir müssen die Leisen sichtbar machen. Und wir müssen vielfältiger werden.“

Als Chefredakteurin liegt Ihnen das Thema Depolarisierung besonders am Herzen. Sie appellieren an Ihre Kolleg:innen: „Wir müssen zuhören. Wir müssen die Leisen sichtbar machen. Und wir müssen vielfältiger werden.“ – Was meint das konkret und eignen sich diese Leitsätze auch für Führungskräfte (anderer Branchen)?

Die Aufgabe des WDRs besteht darin, die Gesellschaft zusammenzuhalten und für ein diskriminierungsfreies Miteinander zu sorgen. Dazu gehört es, die Vielzahl und Vielfalt der Meinungen in Nordrhein-Westfalen abzubilden und Meinungspluralität herzustellen. Es ist wichtig, zuzuhören und alle Perspektiven zu sehen, um eine genaue Diskussion führen zu können. Die aktuelle Lage mit ihren zahlreichen Herausforderungen frustriert die Menschen und macht sie anfällig für einfache Botschaften und vermeintlich einfache Lösungen. Es ist jedoch wichtig, die Welt differenzierter zu betrachten und auch den weniger lauten Menschen zuzuhören.

Es ist eine Herausforderung, die Sorgen aller Menschen im Sendegebiet abzubilden, besonders da die Mitarbeiter des WDRs auf Grund der eigenen Situation möglicherweise blinde Flecken haben. Es ist wichtig, dass das Team divers ist und verschiedene Perspektiven einbringt. Diverse Teams bringen bessere Ergebnisse, auch wenn sie anstrengender sind und härtere Diskussionen führen. Je vielschichtiger die Welt ist, die wir abbilden, desto wichtiger ist es, dass Unternehmen und Teams viele verschiedene Blickwinkel und Perspektiven abbilden. Führungskräfte sollten Anwälte der Vielfalt sein und sicherstellen, dass alle Meinungen gehört werden und nicht nur die dominierende Meinung.

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist auch im Jahr 2023 längst keine Selbstverständlichkeit. Frauen in Führung mit (vor allem kleinen) Kindern gelten fast schon als Exotinnen. Wie kann es aus ihrer Sicht gelingen, dass Familienmütter in Führungsetagen genauso selbstverständlich werden, wie Familienväter?

Es gibt aus meiner Sicht drei wichtige Faktoren, die zur erfolgreichen Vereinbarkeit von Familie und Beruf beitragen. Erstens ist die Unterstützung eines familienfreundlichen Arbeitgebers entscheidend, was unter anderem flexibles Arbeiten und Tandem-Führungsmodelle etc. bedeutet. Zweitens ist es wichtig, dass Frauen selbst entschlossen und ehrgeizig sind, um in Führungspositionen sichtbar zu werden. Drittens ist die Wahl des Partners oder der Partnerin von Bedeutung, der oder die Aufgaben im privaten Umfeld entsprechend übernimmt. Diese Faktoren haben sich beim WDR bewährt, weshalb es erfolgreiche Beispiele für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gibt. Außerdem ist das Thema Kind und Karriere für mich eines, das Frauen und Männer im Unternehmen gleichermaßen angeht.

Im männlich geprägten Berufsalltag sind Frauen häufig grenzüberschreitenden und sexuellen Übergriffen, aufgrund ihres Geschlechts, ausgesetzt. Viel zu oft werden diese Situationen nicht angesprochen oder werden aus Scham kleingeredet. Welche Tipps können Sie jungen Frauen in ähnlichen Situationen geben, um professionell, aber souverän zu handeln?

Es ist wichtig, sich mit dem Problem sexueller Übergriffe auseinanderzusetzen und zu fragen, warum solche Vorfälle immer noch passieren. Persönlich habe ich keine Erfahrungen mit sexuell unangemessenem Verhalten beim WDR gemacht, schließe jedoch nicht aus, dass solche Vorfälle
existieren. Ich betone, dass dieses Verhalten inakzeptabel ist und ich dies nicht toleriere. In solchen Situationen ist Zivilcourage wichtig, ebenso wie die verbale Verteidigung. Betroffene Frauen sollten sich an ihre Vorgesetzten wenden und externe Beratungsstellen um Unterstützung bitten.

Es ist auch wichtig, die Umstände des Übergriffs zu analysieren und zu überlegen, wer nicht reagiert hat oder sich unangemessen verhalten hat. In Situationen, in denen nur zwei Personen beteiligt sind, kann es schwierig sein, da es keine Zeugen gibt. Frauen werden ermutigt, sich zu wehren und sich nach dem Vorfall an Verantwortliche oder Vertrauenspersonen zu wenden, um Lösungen zu finden und zukünftige Vorfälle zu verhindern.

Der wichtigste Ansatzpunkt jedoch liegt zweifellos im allgemeinen Betriebsklima und der Zivilcourage. Es bedarf einer Kultur, in der Übergriffe nicht toleriert werden und in der jeder dazu beiträgt, eine sichere und respektvolle Umgebung zu schaffen.

Interviewt von: Tanja Haupt, Delvag I Sophia Wischeidt, Quinfos

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Chefredakteurin Politik und Zeitgeschehen