Frau Kostadinova, Sie haben 1997 Ihr Übersetzungsbüro Lingua-World gegründet und sind eine international erfolgreiche Unternehmerin. Zuvor waren Sie bereits als freie Journalistin und Dolmetscherin tätig. Den Schritt in die Selbständigkeit wagen bis heute nur wenige Frauen. Was bewog Sie damals dazu und wer waren Ihre Vorbilder?
Selbständig wird man, weil man nicht anders kann. Ich konnte mir nicht vorstellen, unter der Leitung eines anderen zu arbeiten. Ich trage tief in mir eine enorme Energie und Leidenschaft, verspüre den Drang zu gestalten und dabei ständig neue Wege zu beschreiten. Man muss entschlossen sein und wie im Leistungssport immer wieder an seine Grenzen gehen, man muss wieder aufstehen und weitermachen können, wenn man einmal stolpert. Mein Leben war immer mit meiner Firma verbunden. Ich liebe das, was ich tue. Zudem hatte ich stets das große Bedürfnis, Arbeitgeberin zu sein, meine eigene Unternehmenskultur zu gestalten, Menschen zu führen und Verantwortung für meine Mitarbeiter und ihre Familien zu übernehmen. Unternehmertum bedeutet, mit Herz und Verstand dabei zu sein. Dies gilt insbesondere in Krisenzeiten, wie sie die Pandemie gerade verursacht.
Der Schritt in die Selbständigkeit ist etwas ganz Großes. Er erfordert unglaublich viel Kraft und ist selbstverständlich auch mit Unsicherheiten und Risiken verbunden. Man muss von sich und dem, was man tut, überzeugt sein, auf andere Menschen aktiv zugehen und ihnen zeigen, was man kann. Das fällt vielen Frauen heute immer noch schwer. Zudem ist es als Unternehmerin oftmals herausfordernd, den Balanceakt zwischen Beruf und Familie zu meistern. Es gibt viele Frauen, die sich daher bewusst für ein Angestelltenverhältnis entscheiden. Sie können sich unter dem Dach eines Arbeitgebers entfalten und gleichzeitig ihre Rolle als Frau und Mutter ausfüllen. Eine Familie zu führen und Kinder zu erziehen, das ist etwas Großartiges und Wunderschönes!
Auf meinem Weg hat mich die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel als Vorbild begleitet: Als junge Journalistin durfte ich sie interviewen und ihr Satz „Bleiben Sie mutig!“ hat mich angespornt, immer groß zu denken und mich mit den Großen zu messen.
Mut ist eine der wichtigsten Tugenden für Sie. Was bedeutet Ihnen Mut und warum sollten wir alle mutig(er) sein?
Mut habe ich in mir entdeckt, ohne zu wissen, dass ich mutig bin. Ich wurde oft erfolgreich genannt und konnte das gar nicht so richtig glauben. Doch wenn ich auf meinen bisherigen Weg zurückblicke, verstehe ich: Alles, was ich tat, tue und noch tun werde, ist sehr mutig.
In jedem Menschen steckt eine große Portion Mut, aber nicht alle entdecken ihn. Mut ist eine Gabe! Man muss sich selbst in einer Mut erfordernden Situation nur erlauben, mutig zu sein. Niemand wird als Versager geboren. Wir entwickeln uns, wenn uns das Leben, die Arbeit vor Herausforderungen stellt. Ich denke, dass Vorbilder dafür eine wichtige Rolle spielen. Menschen müssen in diesen Momenten, wo es auf ihre Entscheidung ankommt, Vorbilder vor Augen haben. Das war meine Motivation, das Thema Mut in den gesellschaftlichen Diskurs einzubringen und in meiner Fernseh-Wirtschaftssendung „Mut Café“ (rheinmaintv) außergewöhnliche Mutmacher vorzustellen – gerade jetzt in der Krise. Ich möchte den Menschen zeigen, dass sie nicht alleine sind und ihnen vermitteln: „Auch DU bist mutig. DU musst den Mut in dir nur freilassen!“
In der aktuellen Situation fragen sich viele Frauen, wie man aus dem Home Office heraus überhaupt sichtbar wird und netzwerken kann. Haben Sie Empfehlungen, wie das trotz digitalem Abstand gelingt?
Für große Karrieren ist Sichtbarkeit unerlässlich. Doch sich sichtbar zu machen, das braucht Mut. Man muss sich trauen, vor einem Publikum oder einem Bildschirm zu stehen und zu sprechen.
Aber keine Sorge, das Mutigsein lässt sich trainieren! Als ich zum ersten Mal meine Visitenkarten verteilte, trug ich eine knallrot leuchtende Jacke und ganz ehrlich, mein Gesicht stand der Jackenfarbe in nichts nach. Aber ich hatte damals keine Alternative, ich musste etwas unternehmen! Wäre ich zu Hause geblieben, dann wäre ich heute nicht hier und könnte Ihnen keinen Rat als erfolgreiche Unternehmerin geben. Sichtbarkeit ist das Mittel, den Menschen zu zeigen, was du kannst.
Besonders in Deutschland sind die Frauen sehr schüchtern. Viele müssen lernen, „Ich kann das!“ zu sagen – und zu ihren Worten und damit zu sich selbst zu stehen. Es ist eine veraltete Tradition, dass eine Frau sich höflich zurückhält und darauf wartet, dass sie (von Männern) bemerkt und angesprochen wird. Schluss damit! Gehen Sie auf die Menschen, die Männer, die Gruppen zu und sagen Sie, wer Sie sind und was Sie können: „Hallo, ich bin Nelly Kostadinova. Ich führe mein internationales Unternehmen erfolgreich!
Auf mich wirken Sie so, als könnte Sie nichts und niemand umhauen. Viele Frauen haben dann aber doch Angst vor Kritik. Gerade die Frauen, die mutig vorangehen, müssen noch immer viel einstecken können.
Im Zweifel haue ich zurück, Boxen gehört nicht ohne Grund zu meinem Fitnessprogramm! Doch im Ernst: Ich kenne das auch. Ich habe aber längst gelernt, wie ich damit umgehen und wie ich mich verhalten kann. Man sagt: „Auf der Spitze ist es einsam.“ Für Karrierefrauen wird die Luft tatsächlich dünner, je höher sie auf der Karriereleiter aufsteigen. Und sie werden bei ihrem Aufstieg von Männern immer noch schärfer beobachtet und auch schärfer kritisiert.
Ich rate Ihnen: Stehen Sie da drüber! Sie müssen dazu nicht extra maskulin sein, aber Sie brauchen eine gewisse Härte, um die nötige Distanz aufzubauen. Sie dürfen anderen nicht erlauben, dass sie bis tief in Ihre Seele vordringen und Sie darunter leiden. Ihr Selbstbewusstsein gehört nur Ihnen, es steckt in Ihnen – keiner kann es Ihnen nehmen.
Sehen Sie sich als Macherin? Und was zeichnet Sie als solche aus?
Ich fühle mich als Macherin. Ich brenne für alles, was ich im Kopf und im Herzen trage. Ich zergrübele das nicht. Meine Leidenschaft und meine Entschlossenheit sind so groß, dass ich keine Angst habe, eine neue Idee auf den Weg zu bringen und umzusetzen. Ich bin sehr lösungsorientiert. Und das ist es, was alle Machern in sich haben: Wir können Entscheidungen treffen. Unser Erfolg kommt, wenn wir alle Schritte zum angepeilten Ziel gehen und uns dabei immer weiterentwickeln. Ich lebe mein Motto: „Don‘t be a talker – be a Doer“.